Am Limit
Von Lebensmeistern und Weltmeistern
Die besondere Geschichte von Ludwig Hackinger und die schnellsten Handbikes der Welt.
30 Grad im Schatten. Die heiße Luft flimmert über den glühenden Asphalt. Mit gleichmäßigen Kurbelbewegungen treibt Ludwig sein mattschwarzes Handbike über die St. Georgener Bundesstraße. Nur wenige Zentimeter über dem von der Sonne aufgeweichten Bitumen erreicht er dabei Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 35 km/h. Bergab sind dank der verwindungssteifen aerodynamischen Konstruktion der Bikes sogar bis zu 100 km/h möglich.
Auch wenn der neonorange Wimpel am Ende der zwei Meter langen Fahnenstange über die hellbraun welke Sommergerste ragt und auf den Biker aufmerksam macht, die Gefahr übersehen zu werden, fährt immer mit. Doch wer nach dem Motto „Was dich nicht umbringt, macht dich nur härter“ lebt, den bringt ohnehin nichts so schnell aus der Ruhe.
Ludwig kam mit einer sehr schweren Form einer angeborenen SPINAL Angiomatose zur Welt. Einer äußerst seltenen, unheilbaren Erkrankung an der Wirbelsäule. Seit seinem elften Lebensjahr musste er zahlreiche schmerzhafte Operationen über sich ergehen lassen. Die Entscheidung zur Amputation seines linken Unterschenkels war die schwerwiegendste und auch die psychisch herausforderndste in seinem Leben.
„Lassen Sie Ihren Jungen wie einen ganz normalen Lausbuben aufwachsen!“ Diesen Rat des behandelnden Arztes hat Ludwigs besorgte Mutter schweren Herzens befolgt und trug somit zur persönlichen Entfaltung ihres Sprösslings wesentlich bei. Auf vieles, was uns so alltäglich erscheint, musste er verzichten. Aber trotz vieler gesundheitlicher Rückschläge ließ sich Ludwig nie aus der Bahn werfen und begleitete seine Freunde, wann immer und wo immer es ging. Beim Monoskifahren in der herrlichen Bergwelt der Turracher Höhe lernte er die Handbikerprofis des österreichischen Paralympic-Teams kennen und entdeckte im darauffolgenden Frühling ebenfalls seine Leidenschaft fürs Biken.
Das erste gekaufte Rad wog unglaublich schwere 22 Kilo und erwies sich in vielen Fahrsituationen als nicht wirklich renntauglich. Erste Schritte, sein Handbike leichter zu machen, führten rasch zum Erfolg und zu immer neuen Zielen – ein Bike unter 12, später 10 und letztendlich mit 8,5 Kilo zu bauen. Seine Fähigkeiten in Sachen Gewichtstuning überzeugten rasch auch seine Biker Freunde und bis zum ersten Auftrag sollte es nicht lange dauern.
In seiner kleinen Hobbywerkstatt produziert Ludwig im eigenen Autoklaven die selbstkonstruierten Kohlefaserteile. Jedes Bike passt er, ähnlich einem Maßanzug, dem Handicap des Fahrers individuell an. An die 800 Stunden investiert er in jedes Unikat, weshalb die Lieferzeiten der heißbegehrten Rennbikes mittlerweile bei ein bis eineinhalb Jahren liegen. Gut Ding braucht eben Weile.
Die Qualität seiner Arbeit wissen auch die Medaillengewinner Walter Ablinger und Thomas Frühwirth zu würdigen: „Haki baut die besten Handbikes der Welt.“ Für Ludwig hat es nicht zur Profikarriere gereicht, aber als wichtiger Teil der Nationalmannschaft begleitet er die Medaillenanwärter bei allen Großereignissen. Das Highlight waren bis dato die Paralympics in Rio 2016. „Der Spirit dieser Spiele und dieser Stadt haben mich schwer beindruckt“, erinnert sich Ludwig mit dem Lächeln eines ewigen Lausbuben. Covid-19-bedingt ist für ihn Tokio 2020 ins Wasser gefallen. „Vier Handbikes aus meiner Produktion waren aber mit am Start und haben sensationelle sechs Medaillen geholt: ein Mal Gold, zwei Mal Silber und drei Mal Bronze“, erzählt Ludwig voller Stolz. „In Paris 2024 bin ich sicherlich wieder mit dabei!“ Bis dahin feilt er an der nächsten Generation seines ultraleichten „Haki-Bikes 3.2“ und schafft für seine Kollegen die besten Voraussetzungen auf dem Weg zu neuen Superlativen.
Ludwig „Haki“ Hackinger ist seit 27 Jahren in unserem Team und als technischer Zeichner für die Konstruktion hochgenauer Werkstückvorrichtungen aus Stahl verantwortlich. Wie bei seinen Bikes spielt auch hier die Stabilität eine wichtige Rolle und hier ist es, wo Hobby und Beruf sich gegenseitig befruchten.
Den Ruhm eines Olympiasiegers und Weltmeisters wird unser Kollege nie erfahren. Als Lebensmeister, der mit seiner unglaublich positiven Einstellung Vorbild in allen Belangen ist, ist Ludwig aber die absolute Nummer 1.